Was ist Dada?

Reduziert sich Dada lediglich auf eine anarchistische Bewegung, die Prinzipien wie “Provokation” und “Zufall” auf ihre Fahnen schrieb? Waren es einfach nur aktionistische Spinner, naive Weltverbesserer oder ängstliche Kriegsgegner, die sich am Vorabend des 1. Weltkrieges zu dieser Bewegung bekannten? Provokation war ihnen zwar Mittel zum Zweck auf jeden Fall aber war es weniger Zufall, der die Gründer des “Cabaret Voltaire”, Hugo Ball mit seiner Frau Emmy Hannings, Marcel Janco, Tristan Tzara, Hans Arp und Richard Huelsenbeck 1916 in Zürich zusammenführte (übrigens zeit- und ortsgleich zum russischen Revolutionär Lenin).

Wer das Wort „Dada“ geprägt hat lässt sich historisch nicht mehr zweifellos klären. Von Arp existiert folgende Aussage: „Hiermit erkläre ich, dass Tristan Tzara das Wort Dada am 8. Februar 1916 um 6 Uhr nachmittags entdeckte; ich war mit meinen zwölf Kindern zugegen, als Tzara zum ersten Mal das Wort aussprach, das uns verständlicherweise mit Begeisterung erfüllte. Es ereignete sich im Café de la Terrasse in Zürich, und ich trug ein Brötchen in meinem linken Nasenloch…“  Nicht die Malerei, vielmehr der Dichtung galt das zentrale Interesse derjenigen, die sich nunmehr Dadaisten nannten. Was Dichtung betraf gab Tzara dazu folgende Anweisung:

Um ein dadistisches Gedicht zu machen
Nimm eine Zeitung.
Nimm eine Schere.
Wähle einen Artikel von der Länge des beabsichtigten Gedichtes.
Schneide den Artikel aus.
Schneide sodann jedes von den Wörtern aus, woraus der Artikel besteht, und tue sie in einen Beutel.
Schüttle alles leicht.
Darauf nimm einen Schnitzel nach dem anderen so heraus, wie sie aus dem Beutel kommen.
Schreibe gewissenhaft ab.
Das Gedicht wird dir ähnlich sein.
Und so bist du ein Schriftsteller, unendlich originell und begabt mit der Sensibilität, die bezaubernd ist, obgleich sie das Verständnis des Pöbels übersteigt.
Beispiel:
wenn die Hunde die Luft kreuzen in einem Diamanten wie die Ideen und der Fortsatz der Hirnhaut die Stunde des Erwachens eines Programms zeigt…

Zitate aus „Dada und Surrealismus“, William S. Rubin

Ihr konsequenter Widerspruchsgeist, ihre freie Lebenseinstellung und ihre pazifistischen Überzeugungen einigte diese jungen Literaten, Künstler und Intellektuelle aus halb Europa. Gegen starre Strukturen und Hörigkeiten setzen sie künstlerische, literarische, musikalische, politische und philosophische Ideen und Ausdrucksformen, um sie radikal aber in einer spielerisch, kindischen Weise in ihr Gegenteil zu verkehren. Etablierte Kunstformen empfanden die Dadaisten als nutzlos für ihre Ziele. Auch strebten sie keine Nachfolge zum technikbegeisterten Futurismus, zum destruktiven Expressionismus oder des formalistischen Kubismus an. Mit ihrer “Anti-Kunst” leugneten sie konsequent die traditionelle und gegenwärtige Kunst oder versuchten diese zumindest in Frage zu stellen. “Der Dadaismus”, schrieb Huelsenbeck, “hält es für notwendig die Kunst zu bekämpfen, weil er ihren Beitrag als moralisches Sicherheitsventil durchschaut hat.” Die Probleme, denen sich die Welt gegenübersah, waren ernster als je zuvor. Doch die als vermeintlich fortschrittliche Kunst der Zeit schien nicht nur unfähiger denn je, sie stellte sich zum Teil in den Dienst der Kriegstreiber. Dem Militär können sich junge Männer der damaligen Zeit nur schwer entziehen. Andre Breton z.B. ist Wärter in einer Nervenheilanstalt der Armee, Max Ernst Pionier bei der Artillerie, Richard Huelsenbeck dient als Feldunterarzt. Der italienische Futurist Umberto Boccioni, die deutschen Expressionisten August Macke und August Stramm waren schon früh in den Schützengräben gefallen, wenig später lies auch Franz Marc sein junges Leben vor Verdun.

Die internationale Dada-Bewegung ging nur sechs Jahre nach ihrer Gründung ihrem Ende entgegen. In Zeiten des politischen Friedens fehlte den Dadaisten ein allen gemeinsames Ziel, auf das sie ihre Wut und ihre Aktionen hätten richten können. André Breton beschäfige sich Anfang der 20er Jahre mit den Traumdeutungen Sigmund Freunds und veröffentlichte im „Ersten Manifest des Surrealismus“ seine Erkenntnisse und Ideen. Darin forderte er ein „Denkdiktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegungen.“ Paul Eluard, Phillipe Soupault, Francis Picabia, Hans Arp, Man Ray, Max Ernst und später Tristan Tzara schlossen sich mit ihm zur Gruppe der Pariser Surrealisten zusammen. Der Beginn einer neuen fantastischen Kunstbewegung…